Kurzantwort vorab
Nein, für 20 km/h zu schnell kann niemand in Deutschland legal mit 7 500 € zur Kasse gebeten werden. Das astronomische Bußgeld aus Köln ist so gut wie sicher ein Verwaltungsfehler – doch wer den Bescheid schweigend liegen lässt, riskiert trotzdem, dass er rechtskräftig wird. Klingt verrückt? Willkommen zu einer Geschichte, in der ein Tippfehler fast teurer ist als so mancher Kleinwagen.
Ein Schock in der Morgenpost
Anfang März flattert einer Kölner Autofahrerin ein gelber Umschlag ins Haus. Darin: ein Bußgeldbescheid über exakt 7 528,50 € – 7 500 € „Geldbuße“, 25 € „Gebühr“, 3,50 € „Auslagen“. Ihr Vergehen: 120 km/h anstelle von erlaubten 100 km/h auf der A 555.
Die Frau kippt beinahe vom Stuhl. Zeitungen wie Express und Focus greifen die Story auf. Social-Media-Kanäle glühen: „Neue Abzocke?“, „Hat Köln jetzt Monaco-Tarife?“.
Doch schon der erste Blick ins Gesetz zeigt: das kann schlicht nicht stimmen.
Was das Gesetz wirklich erlaubt
Rechtsgrundlage | Höchstbetrag / Regelsatz | Quelle |
---|---|---|
Regelsatz 16–20 km/h außerorts | 60 € (0 Punkte) | ADAC-Bußgeldkatalog |
Verdopplung bei Vorsatz | 120 € | Kanzlei Heskamp |
Gesetzliches Maximum für „einfache“ OWi | 1 000 € | § 17 OWiG |
Gebühren nach § 107 OWiG | 5 % der Geldbuße, mind. 25 €, max. 7 500 € | Haufe |
Sprich: Selbst wenn man der Fahrerin Vorsatz unterstellt und alle Register zieht, käme man nur auf rund 120 € Bußgeld + 25 € Gebühr. Die 7 500-€-Forderung übersteigt das gesetzliche Limit um den Faktor 7,5.
Wie kann so etwas trotzdem passieren?
Juristen tippen auf einen simplen – aber folgenschweren – Zahlendreher in der Behörde oder im Druckzentrum. Mögliches Szenario:
- Bußgeld‐Datensatz wird erfasst: 60 €
- Interner Buchungscode „75 00“ (Beispiel) landet versehentlich im Feld „Geldbuße“
- Automatischer Gebührenrechner setzt dennoch nur die Mindestgebühr von 25 € drauf, statt 5 % von 7 500 € (= 375 €) – ein weiteres Indiz für eine Panne.
Die Stadt Köln schweigt und beruft sich auf Datenschutz. Doch das Schweigen lässt eine Frage offen: Wie viele Empfänger bemerken so einen Fehler nicht rechtzeitig?
Die tickende Zwei-Wochen-Frist
„Offensichtlicher Unsinn“ schützt nicht automatisch. Rechtsanwalt Tom Louven erklärt:
„Wer innerhalb von 14 Tagen keinen Einspruch einlegt, macht den Bescheid unanfechtbar.“
Zwar kann ein Verwaltungsakt laut § 44 VwVfG nichtig sein, wenn er „schwerwiegende und offenkundige Fehler“ enthält, aber:
- Die Behörde muss das erst feststellen oder
- Ein Gericht entscheidet – oft erst nach Zeit- und Kostenaufwand.
Ein Satz reicht, um das Drama zu stoppen:
„Hiermit lege ich gegen den Bußgeldbescheid mit dem Aktenzeichen … fristgerecht Einspruch ein.“
Was wir sicher wissen – und was nicht
Verifizierte Fakten
- Regelsatz 20 km/h außerorts: 60 €.
- Verdopplung bei Vorsatz: 120 €.
- Gesetzliche Obergrenze: 1 000 €.
- Gebühren 25 € + 3,50 € sind korrekt berechnet – aber nur, wenn die Geldbuße realistisch ist.
Ungeklärte Punkte
- Was genau im Kölner System schiefging.
- Ob ähnliche Bescheide unbemerkt gezahlt wurden.
- Ob die Stadt Köln interne Kontrollen nachschärft.
Lektion für alle Autofahrer:innen
- Bescheid prüfen – Summen, Datum, Kennzeichen.
- Frist im Blick behalten – 14 Tage ab Zustellung.
- Einspruch notfalls formlos einlegen – per Brief, Fax oder teilweise online.
- Rat holen – Verbraucherzentralen oder Fachanwälte helfen, wenn’s kompliziert wird.
Tritt nach vorn statt Tritt aufs Gas
Die Geschichte der 7 500 € zeigt, wie ein simpler Tippfehler Bürokratie in ein Kafka-Stück verwandeln kann. Wer den Mut hat, den Stift zu zücken und „Einspruch“ zu schreiben, spart hier mindestens 7 380 €. Wer zögert, zahlt womöglich für eine Phantomstrafe.
Also: Sollte Ihnen ein Bußgeldbescheid höchst seltsam vorkommen, glauben Sie erst dem Gesetz – und dann Ihrem Bauchgefühl. Schweigen kann teuer werden, Widerspruch kostet nur einen Satz.