Ja, die Riesen-Antonov floh wirklich aus Kiew – aber sie war nicht völlig „unsichtbar“ und auch nicht komplett russischfrei
Kurzantwort: Am Freitag, 11. Juli 2025, hob die modernisierte Antonov AN-124 (Kennung UR-82073) aus Kiew ab und landete sicher in Leipzig/Halle. Doch zwei Lieblingslegenden aus der Erstmeldung – „flog ganz ohne Radar“ und „kein einziges russisches Teil mehr an Bord“ – halten der Prüfung nur teilweise stand. Was wirklich geschah, liest sich wie ein Thriller zwischen Werkshalle, Kriegsfront und Kontrollturm.
1. Die unerwartete Ankunft – und die erste Korrektur
Flightradar-Nutzer stutzten, als auf ihren Karten plötzlich ein AN-124-Icon direkt über Mitteldeutschland auftauchte. Wo war der Startort? Öffentliche Logs führten kein Abflugfeld auf, doch Antonov bestätigte kurz darauf: Take-off war das Werksgelände Kyiv/Sviatoshyn.
Darüber herrscht heute kaum Streit – nur der deutsche Bericht lag beim Datum daneben. Es war Freitag, 11. Juli 2025, nicht der „vergangene Freitag“ im vagen Sinne.
Quellen: Flightradar24, AeroTime
2. Modernisierung im Bombenhagel – aber startete sie wirklich im März 2021?
Die Originalstory behauptet, das Upgrade habe „ab März 2021“ begonnen.
• Fakt: Antonov spricht lediglich von „Beginn 2021“, Unterlagen nennen kein exaktes Start-Monat.
• Kontext: Nach dem russischen Überfall Februar 2022 ruhten die Arbeiten kurz, liefen dann heimlich weiter – größtenteils in Schutzbauten nahe Kiew.
Damit bleibt der Kern richtig: Der Umbau ging mitten im Krieg weiter. Das März-Detail bleibt unbestätigt.
3. „Be Brave like Irpin“ – klein geschriebener Mut mit großem Symbolwert
Auf der Bauchseite prangt: «Будь сміливий, як Ірпінь» – „Sei mutig wie Irpin“.
Der deutsche Artikel verpasste dem Vorort einen zusätzlichen Buchstaben („Irpeln“). Seit Juli 2022 tragen alle Antonovs Hero-City-Namen, Teil der Kampagne „Be Brave Like Ukraine“.
Quelle: TechUkraine
4. Mythos 100 % russischfrei – was wirklich (aus-)getauscht wurde
Antonov rühmt sich, „die wichtigsten russischen Komponenten“ ersetzt zu haben. Das deutsche Blatt machte daraus „kein einziges russisches Bauteil mehr an Bord“.
• Offiziell bestätigt: Triebwerks-Steuergeräte, Navigations- und Funkpakete kamen neu, aus westlicher oder ukrainischer Fertigung.
• Nicht belegt: völlige Entfernung aller russischen Kabelbäume, Pumpsysteme oder Gussteile – dazu schweigt Antonov.
Fazit: Aussage über 100 % russlandfrei ist übertrieben.
Quelle: AeroTime
5. Radar-Versteckspiel: „ohne Transponder bis Polen“ – stimmt das?
Öffentliche Track-Daten fehlen vom Start bis zum westukrainischen Luftraum. Das spricht stark dafür, dass der Mode-S-Transponder erst nahe sicherer Zonen eingeschaltet wurde – ein plausibles, aber nicht offiziell bestätigtes Manöver.
• Militärische Überwachungsradare hätten die Maschine dennoch aufzeichnen können.
• Von völliger „Unsichtbarkeit“ kann also keine Rede sein.
Quelle: Flightradar24
6. Warum der Flug mehr ist als ein PR-Stunt
- Ersatz für zerstörte oder blockierte Transportkapazitäten – Kiew braucht Schwerlaster.
- Signal nach Moskau: Die Ukraine modernisiert ihre Ikonen selbst im Bombenhagel.
- Leerstelle für westliche Logistiker in Leipzig: Die AN-124 könnte NATO-Fracht fliegen, ohne heikle russische OEM-Dependencies.
7. Alles auf einen Blick – was stimmt, was wackelt?
Behauptung | Faktenlage | Bewertung |
---|---|---|
Landung aus Kiew in Leipzig | Flightradar + Antonov | Richtig |
Modernisierung lief durch Krieg | Antonov-Briefing | Richtig |
Startmonat „März 2021“ | Keine Quellen | Unsicher |
Maße 69 × 73 m | Technisches Datenblatt | Richtig |
„Irpeln“-Slogan | Schreibfehler (Irpin) | Teilrichtig |
0 % russische Teile | Übertreibung | Teilweise falsch |
Transponder bis Polen aus | Daten stützen, aber keine Offizialbestätigung | Plausibel |
8. Offene Fragen für die nächste Recherche
- Hat die Ukraine wirklich eine Zulassung der europäischen Behörde EASA für die neuen Komponenten beantragt – und bekommen?
- Welche genauen Frachtaufträge warten in Leipzig?
- Wie sichert Antonov künftig Ersatzteile, wenn Rest-Russland-Komponenten ausfallen?
Bottom Line
Die Geschichte vom „Geheimflug ohne Radar“ ist im Kern wahr, doch die spannendsten Details liegen im Kleingedruckten: Das Flugzeug flog nicht buchstäblich unter jeder Radaranlage hindurch, und ein paar hartnäckige russische Schrauben könnten noch immer in seinen Tragflächen stecken. Aber der größere Punkt bleibt: Eine 400-Tonnen-Ikone der ukrainischen Luftfahrt hat es trotz Bomben, Blockaden und Bürokratie aus Kiew herausgeschafft – und das allein ist schon bemerkenswert genug.