Können Hunde in fünf Minuten Lungenkrebs erschnüffeln?
Kurze Antwort: Die Idee ist real, die Versprechen sind (noch) größer als die Beweise.
Doch hinter schnuppernden Labradors, TV-Tränen und 99-Prozent-Zahlen steckt eine Geschichte, die spannender ist als jede Casting-Show ‑ und weit weniger eindeutig.
Die Szene, die ganz Deutschland rührte
Judith Williams kämpft mit den Tränen, als in „Die Höhle der Löwen“ fünf freundliche Hunde ihre Nasen in Atemmasken vergraben. Die Gründer des Start-ups Dogscan versprechen: „Unsere Tiere finden Lungenkrebs – noch bevor Radiologen etwas sehen.“
Auch BILD-Reporterin Laura Krimmer schwärmt von der „schönsten Vorsorge-Untersuchung aller Zeiten“. Ein Schnelltest, kuschelige Vierbeiner, nur 99 Euro – wer würde da Nein sagen?
Ich wollte wissen: Wie viel Wissenschaft steckt wirklich hinter dem kuscheligen Krebs-Radar? Das Ergebnis ist ein Mix aus belegten Fakten, offenen Fragen und erstaunlich viel Marketing.
1. Was gesichert ist – die harten Fakten
Behauptung | Faktenlage | Quelle |
---|---|---|
Dogscan existiert und bildet Hunde aus | Bestätigt. GmbH seit 2023, fünf ausgebildete Spürhunde, kostenpflichtiger Atemmasken-Test | dogscan-deutschland.de |
Hunde können Krebsgeruch grundsätzlich wahrnehmen | Mehrfach gezeigt. Kleine Laborstudien finden Sensitivitäten bis 95 % | PubMed 28977566 |
Frühstadien sicher (≥ 90 %) erkennen | Unbewiesen. Pilotdaten, keine großen, unabhängigen Studien | USPSTF-Leitlinie, SpotItEarly-Pressemitteilung |
Trefferquote 99 % | Firmenangabe. Nicht peer-reviewt, nicht reproduziert | Dogscan Pitch, Website |
Hundetest rettet Leben | Keine Evidenz. Keine Mortalitätsstudie, nicht in Leitlinien | USPSTF 2021 |
Kurz gesagt: Ja, Hunde können Krebs riechen – aber wie präzise, unter Alltagsbedingungen und bei hunderttausenden Menschen? Das weiß aktuell niemand.
2. Hinter den Kulissen des süßen „Schnüffel-Labors“
Dogscan zeigt ein beeindruckendes Trainingsprogramm:
- 2 500 Proben pro Hund
- interner Blindtest, angeblich mindestens 90 % Treffer
- Vermeidung von Duftverunreinigungen durch Handschuhe & Reinraum
Klingt solide. Das Problem: Alles stammt aus Eigenangaben, keine Universität, keine externe Prüfstelle hat die Abläufe bislang auditieren dürfen. Selbst die Investoren der TV-Show stiegen aus – eben weil sie die Rohdaten nicht sehen konnten.
„Ohne unabhängige Validierung können wir das Risiko nicht einschätzen.“
– Löwe-Investor Ralf Dümmel in der Sendung (Minute 31:45)
3. Warum 99 % Genauigkeit ein rotes Tuch ist
In der Krebsdiagnostik gilt: Wer 99 % verspricht, muss Unmengen von Proben vorlegen.
• Eine fehlerfreie Quote würde bedeuten, dass von 100 Patienten mit Lungenkrebs 99 richtig erkannt werden, bei fast keinem Gesunden ein Fehlalarm ausgelöst wird.
• Die größte publizierte Hundestudie umfasst gerade mal 152 Menschen – viel zu wenig, um solch eine Super-Präzision statistisch abzusichern.
Fachleute warnen, dass kleine, unblindierte Tests die Hunde leicht unbewusst „füttern“: Der Geruch von Desinfektionsmittel, Stressschweiß oder gar eine leichte Körpersprache des Trainers reicht, um das Tier zu lenken. Der Fachbegriff: Clever-Hans-Effekt.
4. Was die Leitlinien wirklich empfehlen
• Low-Dose-CT (ein schwach dosiertes Computertomogramm) ist laut US-Preventive-Services-Task-Force nach wie vor die einzige anerkannte Früherkennung für Hochrisiko-Raucher.
• Deutsche Fachgesellschaften erwähnen Hundetests nicht einmal.
• Grund: Bisher fehlt jeder Beweis, dass der Schnüffel-Check Patienten länger leben lässt oder Fehlalarme reduziert.
5. Drei offene Baustellen, bevor „Hundedoktoren“ in die Praxis dürfen
- Standardisierung
– Wie viele Minuten darf die Probe alt sein? Welche Masken, welche Lager-Temperatur? - Massentauglichkeit
– Funktioniert der Test noch, wenn 100 000 statt 100 Proben pro Jahr eintreffen, mitsamt Erkältungs-, Corona- oder Grillrauch-Geruch? - Kosten-Nutzen
– 99 € pro Screening plus Folge-CTs bei jedem Verdacht: Wird das Gesundheitssystem oder der Patient bezahlen?
6. Was das für Sie konkret bedeutet
• Haben Sie ein hohes Raucher-Risiko (über 20 Pack-Years)? Sprechen Sie zuerst mit Ihrem Hausarzt über das empfohlene Low-Dose-CT-Programm.
• Reizt Sie der Hunde-Test? Sehen Sie ihn momentan als experimentelle Zusatz-Option – ähnlich einer Lifestyle-Analyse, nicht als Ersatz für etablierte Medizin.
• Achten Sie auf Transparenz:
- Gibt es veröffentlichte Peer-Review-Daten?
- Wird das Labor regelmäßig von Dritten kontrolliert?
- Erhalten Sie schriftlich, was bei einem positiven Ergebnis geschieht?
7. Das Fazit nach dem Fakten-Riechtest
Belegt:
• Hunde haben ein faszinierendes Näschen für flüchtige Krebs-Gerüche.
• Dogscan existiert, trainiert Tiere, bietet einen kommerziellen Test an.
Unklar:
• Trefferquote 99 %.
• Sichere Früherkennung im Alltag.
• Überlebensvorteil gegenüber bewährten Methoden.
Klar widerlegt:
• Hundescreenings sind derzeit kein von Fachgesellschaften empfohlener Lebensretter.
Letztes Wort – und ein Blick nach vorn
Vielleicht schnüffeln Hunde in Zukunft tatsächlich Krebs früher auf als jedes High-Tech-Gerät. Doch heute braucht der verlockende Hundetest denselben Beweisweg wie jedes Medikament oder Diagnostikum: unabhängige Studien, Peer-Review, reale Patientenergebnisse.
Bis dahin gilt: Lauschen Sie gern dem leisen Schnaufen der Labrador-Spürnasen – aber verlassen Sie sich beim eigenen Risiko besser auf laut brummende CT-Scanner. Die mögen weniger kuschelig sein, retten aber nachweislich Leben.